Zweites Buch


Erstes Kapitel

Wie Johann während zweier Jahre in die Dienste verschiedener Herren gegeben wurde

Nachdem ich Dir, lieber Philipp, aus meiner Schulzeit, welche ich wegen jenes groben Esels von Schüler diesseits der böhmischen Berge vor der Zeit beschließen mußte, das Wichtigste erzählt habe und vieles der Kürze halber übergehen mußte, so wird der zweite Teil dieses Wanderbüchleins Dir in Kürze zu berichten haben, was jetzt jenseits der Berge, gleichsam mitten unter den Ketzern, aus mir geworden ist.

❡ Wie bereits erwähnt, wurde ich in Karlsbad von einem vornehmen Böhmen1 heimlich meinem Wirte entführt und in das Innere des Königreiches, jedoch noch nicht jenseits des Gebirges, gebracht. Auf einem kleinen, ihm gehörigen Gut in Sichlau hatte ich es ganz gut und erlernte in kurzer Zeit die Landessprache sowie das Reiten.

❡ Als ich dies hinreichend konnte, äußerte einer seiner Freunde aus Luditz,2 der adlig, aber ein gar schlimmer Ketzer war, den Wunsch, mich in seine Dienste zu bekommen. Mein Herr willigte ein, und ich wurde zu ihm nach Luditz gebracht.

❡ Mein neuer Herr war mit einer sehr reichen Frau verheiratet, die er aber nun ihres Alters wegen verabscheute. Er trachtete mich nun zuerst durch einschmeichelnde Worte, dann, als ich nicht wollte, durch Drohungen und Schläge dahin zu bringen, daß ich junge Mädchen von meines früheren Herrn Hof und Landgut für ihn werben und seiner unerlaubten Liebe geneigt machen sollte. Als er aber lange sich vergeblich Mühe gegeben hatte, mich zum Kuppler zu machen, nahm er mit meinen guten Anzug, den ich mitgebracht hatte, weg und schloß ihn ein. Dieser sollte mir nicht wiedergegeben werden, wenn ich ihm nicht die Mägde, die er begehrte und die jede Woche vom Gut auf den Markt kamen, für ihn zu gewinnen suchte.

❡ Eingedenk der väterlichen Ermahnung, vor solchen Schlechtigkeiten mich in acht zu nehmen, ließ ich den lasterhaften Menschen samt meinen Kleidern im Stich und floh aus der Mitte der verdrehten Ketzer zu meinem früheren Herrn. Dieser nahm mich freundlich auf und behielt mich bei sich, als ich ihm die Ursache meiner Flucht entdeckte. Kurze Zeit danach wurde ich wieder einem andern auf dessen dringendes Bitten zum Geschenk gegeben. Aber wegen der schweren Arbeit, die das dauernde Umherreiten mit sich brachte, floh ich nach einem halben Jahr und kehrte zu meinem ersten Herrn zurück. Als ich mit diesem eines Tages nach der Stadt reiten mußte, von wo ich zu ihm zurückgeflohen war, verbarg ich mich in der Herberge, weil ich den Zorn des zweiten Herrn über die Maßen fürchtete. Schließlich suchte dieser mich doch auf, versprach aber, mir nichts zu tun, sogar mir die Kleider wiederzugeben, wenn ich ihm den Schweif eines Pferdes, das er mir in einem Stalle zeigte, stehlen wollte. Eine Weile bebte ich davor zurück, so etwas zu tun. Endlich aber, aus Furcht vor ihm und aus Liebe zu meinen Kleidern, tat ich, was er verlangte, obwohl ich die größte Furcht hatte, der Besitzer des Pferdes oder die Bewohner des Hauses könnten mich überraschen. Als ich ihm den Schweif übergeben hatte, empfing ich meine Kleider zurück, und er war fortan versöhnt. Ich empfand aber große Gewissensbisse darüber, daß ich mich gegen das Gebot des Herrn und die letzte Ermahnung meines Vaters nicht gescheut hatte, einen sündigen Menschen mit einem Diebstahl zu versöhnen und so selbst zum Sünder zu werden. Bei jenem ersten Herrn nun, der mich nach dem Aufgeben meiner Studien in dem Bade geraubt und zu seinem Schildknappen gemacht hatte, wohnte ich im ganzen zwei Jahre lang. Was mir in dieser Zeit für widrige Schicksale begegnet sind, will ich Dir nun, so gut ich kann, mit kurzen Worten erzählen.

Zweites Kapitel

Wie übel die anderen Diener des Hauses Johann mitgespielt haben

Verreiste mein Herr, nahm er mich zuweilen mit, manchmal ließ er mich auch zu Hause. Als er einmal etwas länger als gewöhnlich ausblieb und ich mit einem Knechte und zwei Mägden zurückgeblieben war, zwang mich der Knecht, die Kühe zu hüten, damit er sich hinter meinem Rücken mit den Mägden vergnügen konnte. Die Dorfleute aber, die mich gut leiden mochten, waren darüber sehr aufgebracht und nahmen sich vor, sobald der Herr käme, die Schlechtigkeit des Menschen ihm unverzüglich zur Anzeige zu bringen. Solche Drohungen aber achtete er nicht und nötigte mich, weiterhin die Kühe zu hüten, während er die Magd, die eigentlich zum Kühehüten bestimmt war, zur Befriedigung seiner Nichtswürdigkeiten im Haus hielt und mit ihr in schändlicher Wollust lebte. Obendrein stahl er den Bauern, um seiner Gefräßigkeit zu genügen, heimlich Hühner und Gänse. Zugleich beschloß er bei sich, sobald der Herr käme, die Flucht zu ergreifen, wie er es dann auch wirklich in der Nacht, als der Herr heimkehrte, in aller Stille tat.

❡ Ein andermal, als der Herr wieder verreist war und ich mit einem anderen Diener zu Hause blieb, trug sich etwas Ähnliches zu. Der böse und treulose Knecht brach die Vorratskammer seines Herrn auf, nahm einiges weg und suchte das Weite. Um nun den Herrn glauben zu machen, daß nicht er, sondern ich den Diebstahl begangen hätte, gab er mir Mandeln und Feigen, die er gestohlen hatte, zu essen. Ohne Böses zu ahnen, aß ich diese sorglos in aller Öffentlichkeit, als seien sie mir geschenkt, und bekam, als hätte ich sie wirklich gestohlen, von meinem Herrn eine überaus scharfe Züchtigung. Er ließ mich ob solcher Tat nackt ausziehen, über einen Tisch legen und von vier Bauern so lange mit Ruten peitschen, bis überall das Blut aus der Haut hervorspritzte.

Drittes Kapitel

Wie Johann an einen anderen Herrn verschenkt wurde, mit dem er dann an einen fremden Hof zog

Bei diesem Herrn war ich während des Ausreitens im Winter mitunter von der Kälte so erstarrt, daß alle mich aufgaben und dem Tode nahe glaubten. Auch wurde ich dort, weil ich nicht galoppieren wollte, denn das hatte ich noch nicht gelernt, von dem hinter mir reitenden Herrn heftig mit der Peitsche geschlagen und jämmerlich zugerichtet. Und da ich noch nicht gut reiten konnte, haben mich die Pferde, wenn sie sich aufbäumten, abgeworfen und dermaßen getreten, daß ich mich dem Tode nahe wähnte. Auch ließ mich der Herr, als er mich schwimmen lehrte, häufig in einen tiefen Weiher fallen, so daß ich fast ertrunken wäre.

❡ Danach aber entließ er all sein Gesinde und behielt nur mich. Während er in die Dienste eines anderen Herrn trat, überließ er mir allein die Burg und gab mir einige Bauern sowie ein Pferd zu ihrer Bewachung. Was ich aber nach seinem Weggang damals während dreier Monate für ein Leben mit den Bauern geführt habe, gleichwie ein Lamm, das unter die Wölfe geraten ist, das zu erzählen würde zu weit führen.

❡ Inzwischen kehrte der Herr zurück und wurde von seinen Freunden mit Jubel empfangen. Einem von ihnen, Herrn Šafařík, der dringend um mich bat, wurde ich wie ein kleines Präsent überreicht. Mit diesem reiste ich nun tiefer in das Innere von Böhmen zu der Burg, wo seine Eltern wohnten, die ebenfalls eifrige Anhänger der Ketzerei waren. Die Burg liegt in der Grafschaft des Herrn Heinrich von Dekov, unweit der Petersburg nach der Stadt Rakonitz zu, und heißt Soseň3. Mein neuer Herr blieb selten zu Hause, sondern diente mit zwei oder drei Pferden am Hofe des Königs oder eines anderen Herrn. Seine Brüder hatten keinen solch ritterlichen Sinn, denn sie gingen häufig auf die Jagd oder zogen es vor, mit dem Vater Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. Als er mich bekommen hatte, traf er bald Anstalten, mit mir als Diener an den Hof eines anderen Herrn zu ziehen. Beim Abschied wurde die alte Mutter sehr traurig; sie folgte uns mit betrübtem Herzen vor die Burg und las, solange sie uns sehen konnte, über uns gewisse abergläubische Segenssprüche her. Die Böhmen geben sich vielerlei Aberglauben hin; und auch ich ließ mich zuweilen von ihnen bereden, mich durch abergläubische Mittel von Krankheiten heilen zu lassen.

Viertes Kapitel

Wie Johann sich bei verschiedenen Krankheiten durch abergläubische Mittel helfen ließ

AIs ich einmal an einem Geschwür im Halse litt, führte man mich zu einer häßlichen alten Frau, die legte den Daumen in mein Ohr, und während ihre andere Hand mir auf dem Kopfe ruhte, murmelte sie zwischen den Zähnen gewisse mir unverständliche Segensworte. Als dies vorüber war, gab sie mir folgendes Heilmittel an: „In einen Becher“, sprach sie, „sollst du, wenn du gesund werden willst, drei frische Eichenblätter ohne Brüche und Raupennester tun; dazu ein Stück von einem Kamm, mit dem man Kopfläuse fängt, und drei Flachsflocken, die von den Fingern der Spinnerinnen gedreht wurden. Wenn der Becher dann so zurechtgemacht einen Tag und eine Nacht gestanden hat, sollst du mit der festen Hoffnung auf Heilung so lange davon trinken, wie du den Schmerz des Geschwüres empfindest.“ Sollte ich nach meiner Genesung später wieder einmal ähnliche Beschwerden haben, so müsse ich, fügte sie noch hinzu, den Daumen in den Mund stecken, ihn dreimal herumdrehen und die und die Worte sagen, die sie mich lehrte. All diesem schenkte ich letztlich Glauben und wurde, nachdem ich von dem Becher etwas getrunken hatte, wirklich wieder gesund. Und sooft ich seitdem an der Stelle etwas verspürte, heilte ich es sofort nach der erwähnten Anleitung.

❡ Ein anderes Mal litt ich am Fieber und konnte lange Zeit hindurch trotz aller möglichen Arzneimittel nie ganz geheilt werden; immer kam das Fieber nach wenigen Tagen wieder. Da nahm mich die Herrin und führte mich beim Morgenrot vor Sonnenaufgang hinaus ins freie Feld. Hier stieg sie mit mir auf einen Kieselstein, und nachdem sie viel Segnung und Verwünschung gegen das Fieber vorausgeschickt hatte, schnitt sie Rinde von einem Baum und band mir diese um den nackten Leib. Drei Tage und drei Nächte blieb ich eingebunden, dann warf sie die Rinde gleichsam mit dem Fieber ins Feuer, und ich war geheilt. Fortan wurde ich von den beiden Krankheiten nicht mehr heimgesucht, bis ich, von den Beichtvätern zu Deventer katholisch belehrt, solche abergläubischen Dinge verachtete. Von der Zeit an aber befielen mich die besagten Krankheiten wieder öfter, gerade als wollten sie das Jahrgedächtnis ihres Wegganges feiern.

Fünftes Kapitel

Wie Johann samt seinem Herrn mit knapper Not den Räubern entkam

Damals nun glaubten wir uns durch die Segnungen der Mutter gefeit gegen Unglücksfälle der Reise und gelangten so zu dem waldigen Gebirge, welches in einer Breite von drei bis vier Meilen sich rings um das ganze Böhmerland herumzieht. Dieses Gebirge, das das Böhmerland wie einen Kern in einer Ausdehnung von dreißig Meilen umschließt, ist voll von Räubern. Wir zogen hinein mit geladenen Gewehren, und der Herr sagte zu mir: „Halte dich hinter meinem Rücken! Solltest du etwa einen Hinterhalt der Räuber zur Seite der Straße entdecken, so gib mir eilends einen Wink, und bleibe nur immer bei mir, mag ich fliehen oder haltmachen!“

❡ Kaum waren wir hineingerückt, waren auch schon Räuber hinter uns her. Man sah sie, zusammengekauerten Schwarzen gleich, aus Höhlen und Büschen hervorgucken und hörte, wie sie durch Pfeifen einander gegen uns zusammenriefen. Im behendesten Galopp flohen wir eine Meile weit, so daß die Pferde vor Schweiß schäumten. Dann ritten wir etwas langsamer, um die Tiere verschnaufen zu lassen. Plötzlich kam einer der Räuber direkt auf uns zu. An der rechten Seite trug er ein breites, langes Schwert, dazu links im Gurt einen kurzen Dolch, auf dem Rücken unter dem Wehrgehänge eine Doppelaxt und auf den Schultern einen Panzer sowie einen Helm. Wir schossen auf ihn, bis er aus dem Wege ging. Als wir hörten, wie er durch rasch aufeinanderfolgende Pfiffe seine Genossen herbeirief, setzten wir uns erneut in schnellsten Galopp und gaben den Pferden unablässig die Sporen, was ihnen neue Kräfte zu verleihen schien.

Sechstes Kapitel

Wie die Reisenden nach Prag kamen und von der Schönheit dieser Stadt

So wurden wir etliche Male zur Flucht genötigt, kamen aber immer glücklich davon. Den Rest des Weges legten wir ohne weiteren Zwischenfall zurück und gelangten zur Hauptstadt des Königreiches, welche sie in ihrer Sprache Praha, das heißt Türschwelle, nennen.

❡ Prag ist berühmt durch seine Königsburg, darin der heilige Wenzel ruht.4 Es ist in drei Stadtviertel geteilt, zwischen denen die Moldau hindurchfließt. Jedes Viertel wird von dem anderen durch eine Mauer getrennt und ist gleichsam eine Stadt für sich. Doch bilden die drei Stadtteile zusammen das eine Prag. Es gibt dort eine Neustadt und eine Altstadt, welche nur von Ketzern bewohnt sind. Der andere Teil der Stadt5 mit der Burg ist über dem Flusse gelegen und von Katholiken bewohnt. Und der König6, welcher auch Ungarn und die Markgrafschaft Mähren besitzt, ist sehr christlich gesinnt. Einst wäre er beinahe bei einem Gastmahl von den Ketzern ermordet worden, wenn nicht einer von ihnen, der ihm treu ergeben war, ihn in letzter Minute durch einen Brief gewarnt hätte.

❡ Diese Stadt ist, wie wenigstens die böhmischen Historien7 erzählen, kurz nach Abrahams Zeiten gegründet worden, wie auch die Städte Trier und Worms, und sie war schon damals ein königlicher und bischöflicher Sitz. In dem kleineren Stadtteile, welcher mit dem Hügel in Verbindung steht, auf dem die königliche Burg liegt, befindet sich auch der große bischöfliche Veitsdom. Die Altstadt ist ganz in der Ebene gelegen und mit prächtigen Bauten geziert, unter welchen das Richthaus, der Markt, das ausgedehnte Rathaus und das Kollegium8, sämtlich von Karl IV9 gegründet, hervorragen. Jene beiden Seiten der Stadt sind durch eine steinerne Brücke miteinander verbunden, welche auf vierundzwanzig Bogen ruht.10 Die beiden Teile der größeren Seite sind durch einen tiefen, beiderseits mit Mauern bewehrten Graben getrennt; der äußere Teil der beiden, die Neustadt, dehnt sich weit und breit hin bis zu den Hügeln; in ihr ist die berühmte Kirche der heiligen Katharina und Karls des Großen zu sehen. Dort befindet sich auch ein hervorragendes, burgähnliches Gebäude, in dem ein weitbesuchtes Kollegium seinen Sitz hat.

Siebentes Kapitel

Von der vormaligen religiösen Pracht Böhmens und von der böhmischen Sprache

Diese Stadt stand einst im Ruf großer Frömmigkeit und war der Mittelpunkt eines mächtigen Reiches. Wie wir lesen, hatte kein Land in Europa so viele und herrliche Gotteshäuser wie Böhmen. Da gab es zum Himmel ragende Dome und gold- und silbergeschmückte Altäre mit den Reliquien der Heiligen. Da waren mit Perlen bedeckte heilige Gewänder, die kostbarsten Ornate und Geräte. Das Licht fiel herein durch hohe, weite, mit wunderbaren Glasmalereien gezierte Fenster. Und solche Pracht gab es nicht nur in den Städten, sondern auch in den Dörfern zu bewundern.

❡ Auch stand dort am Ufer der Moldau, in der Nähe von Prag, das Kloster des königlichen Hofes, in dem die Könige begraben wurden. Es war prächtig anzuschauen. Außer einer Kirche von herrlicher Bauart sollen auch ein prachtvolles Dormitorium11 und andere in großartigem Stile erbaute Räume für die Brüder sich darin befunden haben sowie ein großer Kreuzgang, der um einen weiten Garten sich hinzog. An den Wänden des Kreuzganges aber war das Alte und das Neue Testament vom Anfang der Genesis bis zur Apokalypse des Johannes mit großen, deutlichen Lettern zu sehen.12 In welcher Sprache es geschrieben war, ob lateinisch oder böhmisch, das weiß ich nicht gewiß. Obwohl es bei ihnen Lateinkundige genug gibt, so bedienen sie sich wegen der Belehrung für das Volk in ihren Schriften mehr der Landessprache. Sogar die Heilige Schrift haben sie in ihrer Landessprache, damit sie von allen verstanden werden kann. Von dieser Sprache behaupten sie, es sei eine von den zweiundsiebzig, die bei der Verwirrung des babylonischen Turmes entstanden seien. Sie sagen, von dort her sei einer in dieses Land gekommen, der habe Böhme geheißen, und da er sich hier niedergelassen, sei das Land nach seinem Namen Böhmen genannt worden. Er habe dem Volk seine Sprache gebracht, die folglich unter allen slawischen Sprachen die erste sei. Tatsächlich leiten die Slawen, wie zum Beispiel die Wenden, die Polen, die Litauer und mehrere andere, den Ursprung ihrer Sprache von der böhmischen ab. Diese einzelnen Sprachen weichen ja sehr wenig voneinander ab, nur daß die einen bei der Aussprache die Silben mehr gedehnt, die anderen mehr tonlos und kurz sprechen, so wie man in ganz ähnlicher Weise den Oberdeutschen von dem Niederdeutschen unterscheiden kann.

Achtes Kapitel

Das böhmische Vaterunser und das Credo als Sprachprobe

Damit Du einen Begriff von diesem böhmischen Kauderwelsch bekommst, habe ich es für zweckmäßig gehalten, nachstehend das Gebet des Herrn, das sie mit dem Englischen Gruß dem Evangelium entnommen haben, und das Apostolische Glaubensbekenntnis beizufügen. Ich habe es zwar mit unseren Buchstaben geschrieben; diese haben aber einen ganz anderen Laut, als sie bei uns in der Aussprache besitzen. Wenn Du nun das Folgende liest, so sollst Du Dich ja hüten, darüber zu lachen, und zwar wegen der Ehrfurcht, die wir der Wahr- heit des Evangeliums, trete sie nun in dieser oder in jener sprachlichen Form vor uns hin, schuldig sind. Beim Beten wenden sie die Hände geöffnet gen Himmel, und zwar beten sie ohne bestimmte Zahl, das heißt ohne Rosenkranz, oder wie wir gewöhnlich sagen, ohne Paternoster; ich erinnere mich nicht, Rosenkränze bei ihnen gesehen zu haben, weder aus Korallen noch aus edlem Gestein, noch aus irgendeinem anderen Stoff.13 Wie es ihnen die Andacht eingibt, sprechen sie also:

Vuotze naz, gen zi na nebessich wozwitze meno twy, brzyt gralosty twy, wut wula twa iaku phnebi dakus fzemy, Klyb naz vese leizy deyz nam tnes, wotpuzt nam naze vynne iakozt ymi wotpuztymi nazy wyndikum neotwet naz opokuzzeny a swaff naz wot sleyo. Amen. --

❡ Dann kommt das Ave-Maria:

Stravas zy Maria, myloz yss buelna; Pan wo ztebo; Ty sy bozzenana mesy szenamy, bozzenanei blott brzzycha twyo zwateyo Jesu Christa. Amen.

❡ Die letzten Worte, welche die Kirche, unter der sie nicht stehen wollen, hinzugefügt hat, werden von ihnen nicht gebetet, weil sie nicht in dem Evangelium stehen.

❡ Es folgt das Glaubensbekenntnis, welches die ‚Apostel verfaßt haben, weshalb es auch das „apostolische“ genannt wird:

Werzym woha wotze wzemohutzy, sworzytele newe y wzeme, y Jesu Christa, syna yeho yedeneho, Pana nazeo, gentzy gest potzal duchem swatem, narodgylze Marya pany, turpiel pod Pontzkym Pilatem, wkrzjzowan vmrzeil y pozrewen stoupil do pekel trzezy den wstal zumertweych stoupil na nebessa seedgeitz na prawizy o Pana wozze wzemoutzio, wot dot przide sutgit szyuech y zumertweych. Werzyma ducha swateo, swateo kyrtew wo wo wetznuo, wzech swateych wopzowaninym, wuttpuzteni herzichum, zciella zkzizenyiy zywot wiezncy posmrthy. Amen.

❡ Das ist die barbarische Sprache der barbarischen Böhmen, in der vermutlich die ganze Bibel in dem obenerwähnten Kloster an den Wänden des Kreuzganges geschrieben stand. Hierüber muß man sich gewiß sehr wundern, denn es zeigt sich darin die alte Andacht und Glaubensreinheit, die einst bei diesem Volke geblüht hat.

Neuntes Kapitel

Eine kurze Beschreibung des böhmischen Landes

Vormals wurde diese Gegend wegen der Reinheit des christlichen Glaubens eine ergötzliche Blume genannt, die unter allen christlichen Nationen den lieblichsten Wohlgeruch ausströmte. Aber das Schicksal wollte es, daß diese nun im Gegenteil den schlimmsten Pestgeruch verbreitet. Oh, daß sie doch ihrer alten Zier wieder ähnlich werden möchte!

❡ In Böhmen gibt es auch noch ein anderes bedeutendes Kloster unseres Ordens. Einstmals hütete ein Konversbruder14 dieses Klosters, ein guter, einfacher Mann, im Walde die Kühe: Da fand er eine Silberstufe, zog sie hervor, hing als ein Zeichen, um später die Stelle wiederzufinden, seine Kutte an einem hohen Baum auf und brachte das Silber seinem Abte. Dieser eilte sogleich mit den Brüdern zu der Stelle, fand dort im Boden silberhaltige Erze und ließ riesige Schätze ausgraben. Als der König solches vernahm, sandte er alsbald Leute dorthin, welche binnen kurzer Frist durch den aufgefundenen Schatz reich wurden und da eine Stadt erbauten. Dieser gaben sie den Namen Kucina Horách, zu deutsch Kuttenberg15, weil die Stelle an einer auf dem Berg aufgehängten Kutte entdeckt worden ist.

❡ In seiner „Beschreibung Europas“ berichtet Enea Silvio in Kürze von seinen Beobachtungen über die Lage, die Zustände, die Volksstämme und die Sitten jener Gegend, was er in seiner „Geschichte Böhmens“ und in einem seiner Dialoge über seine Gesandtschaftsreise nach Böhmen und die dortigen Dispute ausführlich dargelegt hat. „Böhmen“, sagt er, „ist rings von Deutschland eingeschlossen und ganz dem Nordwind ausgesetzt; im Osten grenzt es an Mähren und Schlesien, im Norden an Sachsen und Meißen, im Westen an das Nürnberger Gebiet, im Süden an Österreich und Bayern, ist also ringsum von deutschen Volksstämmen umgeben. Länge und Breite sind beinahe gleich und betragen drei Tagesreisen. Der Herzynische Wald16 schließt das ganze Land ein. Der berühmteste Fluß ist die Elbe, die das Land mitten durchströmt und bewässert und andere nicht unbedeutende Flüsse aufnimmt, wie die Moldau, welche Prag durchfließt. Endlich bricht die Elbe mit ihren reißenden Wassern zwischen engen Tälern, zerklüfteten Felsen und durch die wilden Berge des Herzynischen Waldes hindurch, fließt durch die Provinz Meißen und ergießt sich bei Hamburg, einer Stadt Sachsens, ins Deutsche Meer. Bemerkenswerte Städte des Königreiches sind: Prag, die geehrte Residenz der böhmischen Könige; Kaaden, Brüx, Schlackenwerth (Ostrava) und Kuttenberg, welches berühmte Kupfer- und Silberbergwerke besitzt. Es ist eine ganz kalte Gegend, die jedoch Überfluß an Rindern, Wild und Fischen hat. Das Ackerland ist sehr gut und äußerst ergiebig an Früchten und Gerste. In unserer Epoche hat sich dort viel Denkwürdiges zugetragen. Viele Schlachten sind geschlagen, viel Blut ist vergossen worden, Städte von Grund auf zerstört, die Religion verachtet und mit Füßen getreten worden. Es breitete sich aus die Ketzerei der Hussiten, es wuchs empor der Wahnsinn der Adamiten17; es tobten die Heere der Taboriten18 und der Waisen19; die beiden Kriegsgeißeln Žižka20 und Prokop21 verheerten das Land nach ihrem Belieben; Johannes22 und Hieronymus23, welche das Volk irregeleitet hatten, sind schließlich auf dem großen Konzil zu Konstanz verbrannt worden. Jakobellus von Mies24, Konrad von Waldhausen25, Jan Rokycana26 und Peter von England27, diese Verderber des Evangeliums, wurden für Lehrmeister der Wahrheit gehalten. Vier Könige vermochten nicht, das verderbliche Gift auszurotten, nämlich Wenzel28, Sigismund29, Albrecht30 und Ladislaus31, von dem man glaubte, daß er bei ihnen vergiftet worden sei.“

❡ Mit diesem Bericht stimmen in allen Punkten überein der Bruder Bartholomäus Anglicus32 in seinem 15. Buch über die Eigenschaften der Dinge wie auch Jakobus von Bergamo33 und alle übrigen Geschichtsschreiber und Chronisten.

Zehntes Kapitel

Von der Lebensweise der Böhmen

Das Volk in Böhmen ist ein grober Menschenschlag und liebt es, viel und stark gewürzte Speisen zu essen. Daher pflegt man im Sprichwort zu sagen, daß ein Schwein in Böhmen in einem Jahr mehr Safran frißt als ein Mensch in Deutschland sein ganzes Leben lang.

❡ Das gewöhnliche Volk hat selten bei der Mittags- und der Abendmahlzeit weniger als vier Gerichte, im Sommer außerdem noch Knödel mit in Butter gedünsteten Eiern und Käse zum Frühstück, hinzu kommen noch des Nachmittags als Vesperbrot sowie zum Nachtmahl Käse mit Brot und Milch.

❡ Sie kleiden sich in einfaches, grobes Tuch; anstatt Schuhe oder Stiefel zu tragen, umwickeln sie Fuß und Schienbein mit Tierfellen, die sie unter dem Knie mit einer Strohbinde befestigen. Selten bedienen sie sich der Stiefel. Im Winter haben sie Pelze und weite, über die Schultern bis zum Gürtel herabwallende Gewänder mit großen Kapuzen an, denn das Land ist bekanntlich sehr kalt.

❡ Ihre Wohnungen sind aus Tannenbalken gezimmert und haben steinerne Öfen, so breit wie Backöfen, in welchen sie auch ihre Speisen kochen. Wenn dieser Ofen des Morgens geheizt wird, gehen wegen des Rauches, der das ganze Haus bis auf den Söller erfüllt, alle hinaus, und erst wenn das Holz ganz verbrannt und der Rauch durch Fenster und Türen abgezogen ist, kann man den Tag über im Haus bleiben. Zur Beleuchtung bedienen sich die Leute auf dem Land einer dort sehr häufig vorkommenden Tannenart, deren Holz in Späne geschnitten und abends angezündet in einen mitten in der Stube hängenden Leuchter gesteckt wird.

❡ Auf die Pflege des Kopfhaares verwenden sie große Sorgfalt; oftmals habe ich Männer gesehen, denen das kunstvoll gepflegte Haar gelockt bis zum Gürtel, und Frauen, welchen es meist glatt gestrichen bis zu den Waden oder Knöcheln hinabreichte. Auch treiben sie viel Aufwand mit Hemden und Binden, mit Halsbändern und Brusttüchern; diese Tücher sind aus Seide und Gold gewebt. Die jungen Leute halten besonders viel auf diesen Schmuck; sie betrachten sich häufig damit und meinen dann, sie wären etwas.

Elftes Kapitel

Von den Bräuchen der Böhmen

In der vierzigtägigen Fastenzeit sowie an allen Freitagen des ganzen Jahres enthalten sie sich der Milchspeisen. Daher entstand bei uns das Sprichwort: „Ein Böhme ist eher so kühn, ein Pferd aus dem Stalle zu stehlen, als des Freitags ein Ei zu essen.“ Während der Arbeit bedienen sie sich, zumal die Ärmeren, eines einfachen Getränks, obwohl es mehrere Sorten Bier gibt, die allerdings nur in den Städten gebraut werden. Es wird aber in der Nähe der größeren Städte auch Wein angebaut, der ziemlich teuer verkauft wird. Bessere Weine werden aus Ungarn und anderen benachbarten Gegenden in groBer Menge eingeführt. Vom Salz abgesehen, das sie sich im Handel gegen ihre Produkte verschaffen, sind sie mit allen lebensnotwendigen Gütern im eigenen Lande ausreichend versorgt. Die Juden, die meist in den Städten wohnen, werden bei ihnen ebenso verachtet und verspottet wie bei uns. Es gibt dort alle Arten von Sekten und die verschiedensten Ketzereien, besonders in der Stadt Tabor, wie dies auch Enea Silvio bezeugt. Die Reichen sind meist gleich den Epikuräern so dick, daß sie den vorstehenden Leib in einer Binde tragen müssen, die am Hals befestigt ist. Die Männer sind von kräftiger Statur, vierschrötig und muskulös, die Frauen stramm und üppig; sie tragen Kleider, die bis zum Kinn hochgeschlossen sind. Die Ärmel dieser Kleider sind weit, reichen aber nur bis zum Ellbogen, während die vorn gefälteten Hemdärmel wie bei den Männern mit Seidenstoff besetzt sind und den Arm ganz umschließen.

Zwölftes Kapitel

Von den rohen Sitten der Böhmen

So wie in Böhmen der Boden außerordentlich fruchtbar ist, scheint auch das Volk sehr zur Sinnenlust zu neigen, was sich besonders dann zeigt, wenn es sich mit Speise und Trank eine frohe Stunde macht. Dies kann man besonders an den Leuten vom Lande und den Bauern bemerken, wenn sie in die Stadt kommen und von dem besseren Bier, das sie Altbier nennen, und von dem Weißbrot, das Keilkuchen heißt, gekostet haben. Denn kommen sie auf den Markt, ziehen sie sich, sobald sie ihre Geschäfte besorgt haben, ins Wirtshaus zurück. Da sitzen dann die Bauern, die Hände voller Keilkuchen und spülen das Weißbrot mit einigen Kannen Bier hinunter. Sind sie satt, so beginnen sie leise vor sich hinzusummen. Erblicken sie aber ein Frauenzimmer, dem sie eins singen können, dann stoßen sie die wunderlichsten und unverschämtesten Töne aus, just wie der Hengst die Stute anwiehert. Das pflegen aber nicht bloß betrunkene Bauern, sondern auch Leute aus höheren Ständen, wie Adlige und Ritter, zu tun.

❡ So geschah es einst, daß mein Herr den Dienst bei einem Grafen aufkündigen wollte, diesem seine lahmenden Pferde anbot und Schadenersatz forderte. Der Graf weigerte sich indessen und erwiderte unwillig: „Was geht es mich an, daß du deine Pferde durch tolles Rennen und Springen vor Frauen und Mädchen zuschanden geritten hast? Nicht auf meinen Befehl, nicht zu meinem Besten hast du das getan, sondern vielmehr aus törichter Ausgelassenheit, um den Frauen zu gefallen, ohne daß dich’s einer geheißen hat.“ So war es auch in der Tat. Denn wenn wir mit dem Grafen ausritten und an einer Burg oder einem adligen Schloß vorbeikamen, wo Mädchen oder Frauen zu vermuten waren, so stürmten wir, solange der Ort zu sehen war, alle wie toll in rasendem Galopp mit den gefährlichsten Sprüngen querfeldein, über Zäune und Gräben, wobei wir unter lautem Geschrei Arme und Beine über den Kopf in die Lüfte erhoben und riefen: „Jü jü heya hoya hossa hossa! O mila peckna grasna pana“ und so weiter. So ist es Sitte bei den dortigen Hofleuten, solche Ausrufungen an diejenigen zu richten, die sie lieben. Die Mädchen aber lachen über ihre Torheit und reizen sie noch mehr. Sind nur zwei oder drei anwesend, hängen sie weiße Kissen an den Fenstern auf, um jene glauben zu machen, es wären ihrer mehr, die ihnen zuschauten. Oh, diese Torheit der Männer und diese Falschheit, dieser Spott und Trug der Weiber! Wen haben nicht schon. die Weiber zum besten gehabt und betrogen!

Dreizehntes Kapitel

Von der Liebe und von den Eß- und Trinkgewohnheiten der Böhmen

Ich kannte dort einen Grafen, einen guten Christen, wie man sagte, der ein vornehmes Fräulein liebte, das jedoch auch von einem anderen vornehmen, ihm aber an Macht und Adel nachstehenden Böhmen geliebt wurde. Dieser ließ sich so weit von Haß und Eifersucht hinreißen, daß er seine Ehre und Würde vergaß und jenes Fräuleins wegen diesen zum Zweikampf herausforderte. Als in dem Kampf beider Pferde gefallen waren, kämpften sie zu Fuß weiter und gingen mit den Schwettern aufeinander los. Der Graf unterlag seinem Gegner, obwohl dieser von sehr kleiner Gestalt war, so daß man jenes Wort auf ihn anwenden konnte: „Diesen so winzigen Körper belebte gewaltige Stärke.“

❡ Als der Graf sich nicht ergeben wollte, wurde er erschlagen. Das ist das Ende der Liebschaften. O Elend über Elend, wenn einer von Weibern sich am Gängelband der Liebe führen läßt; gar töricht ist ein solcher oder wird es bald werden, wenn ihm die Liebe so gefällt. Denn wenn er liebt, so entbehrt er der Vernunft; ohne Gesetz und Maß ist sein Wandel, und die Liebe bereitet ihm bittere Schmerzen. Nun darfst Du aber nicht glauben, daß solche Torheiten dort zum höfischen oder vornehmen Ton gehören; vielmehr müßte ich als treuer Diener die Adligen eher in Schutz nehmen und loben als anklagen und tadeln, zumal ich ja fünf Jahre hindurch ihr Brot gegessen habe. Jene Torheiten kommen weit mehr bei den Bürgern und Bauern vor. Das Schreien und Johlen von Liedern und Gesängen unter dem Fenster der Geliebten kann man in Städten so gut wie bei den Burgen und auf dem Lande vernehmen, besonders nachts und im Winter. Solche Stimmübungen sind aber so schrecklich anzuhören, daß bei uns vor Entsetzen das ganze Volk in Waffen zusammenliefe, wenn einer ein ähnliches Geschrei erhöbe. Dort aber fällt es überhaupt nicht auf, weil es die allgemeine Gewohnheit der jungen Leute ist.

❡ Die Bauern sind, wie schon bemerkt, starke Esser, und wenn sie in die Städte kommen, stopfen sie sich dermaßen beide Backen und den Bauch voll, als ob sie Wurst machten. Du würdest lachen, wenn Du sie essen schen könntest, wie sie sogar auf der Straße das Weißbrot zwischen die Zähne schieben und reden und essen, während überall die Brocken ihnen aus dem Munde fallen. Im Trinken jedoch, um bei der Wahrheit zu bleiben, sind sie viel anständiger und mäßiger als die Leute an der Küste, wie man es vor allem in Holland behauptet, wo sogar Frauen drei oder vier Krüge, ja manchmal sogar ein ganzes Tönnchen mit Butter angemachtes Bier während eines Tages oder eines halben leertrinken. Mit einer solchen Menge könnte ich in Böhmen zehn Personen eine Woche lang unterhalten. Es ist schon eine schlimme Sache, diese Trunkenheit bei einem Weibe.

Vierzehntes Kapitel

Über die religiösen Zustände in Böhmen

Den Böhmen ist das Zutrinken, wie es bei unseren Landsleuten Sitte ist, unbekannt. Jeder trinkt, soviel ihm beliebt, und keiner wird von dem anderen genötigt. Es gibt dort ein sehr starkes und kräftiges Bier, das Altbier genannt wird und so dick ist, daß man damit beinahe Gegenstände zusammenleimen könnte.

❡ Zu meiner Zeit wurde dort gerade ein Keller wiederaufgebaut, der vor dreißig Jahren eingestürzt war; in ihm fand man an zwei Stellen Bier ohne Faß in der eigenen, sehr dicken Haut liegen; und als man diese wie Holz anbohrte, zapfte man ein so vorzügliches Bier daraus, daß kein Mensch hätte behaupten können, jemals etwas so Kostbares getrunken zu haben.

❡ Solche Dinge habe ich in Böhmen mehr beobachtet als Religiöses und Geistliches, da ich mein Leben dort meist unter Dorfbewohnern und Burgleuten, in den Wäldern und auf dem Lande zugebracht habe, wo Gottesdienst nicht gehalten wurde. Einmal im Jahr allerdings, und zwar am Gründonnerstag, sah ich auf der Burg einen herbeigeholten Priester in einer Stube an einem Tisch die Messe lesen; und denen, die es wünschten und sich durch die Beichte vorbetreitet hatten, reichte er das Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Darüber lachte ich, und da ich dies für ketzerisch hielt und nicht gezwungen wurde mitzumachen, verschmähte ich es, denn ich fürchtete sehr, nach der Rückkehr von unseren Priestern keine Absolution zu bekommen. Das war auch der Grund, warum ich während der fünf Jahre meines Aufenthaltes unter ihnen ohne Beichte und Kommunion geblieben bin; und dies habe ich ihnen auch entgegengehalten, wenn sie mich zu ihrem Abendmahl einluden. Dabei beruhigte mich besonders das Beispiel derer, die in fünfzehn bis zwanzig Jahren weder gebeichtet noch kommuniziert hatten. Denn es gibt unter ihnen manche, die sich für die besten Christen halten, unsere Gebräuche verschmähen und uns als schlechte Christen verachten. Die Sonntage begehen sie nach dem Gebot Gottes festlich, und außerdem feiern sie einige wenige Heiligenfeste. Ich bemerkte nur selten, daß man für die Verstorbenen betete. Kleine Kinder und Narren sah ich kommunizieren. Von geweihtem Wasser oder Salz sah ich nie etwas. Sie sind dagegen reich an allem möglichen Aberglauben, den man sich nur denken kann. Über ihre Religionsausübung kann ich Dir nichts schreiben, da ich nichts Gewisses darüber weiß, außer daß ich sie einen Teil der Messe, nämlich die Epistel, das Evangelium, das Kredo sowie anderes, was das gemeine Volk wissen muß, in ihrer Sprache singen hörte. In welchen Punkten sie aber von der Reinheit des christlichen Glaubens abweichen, deutet Hartmann Schedel kurz in seiner Chronik an, aus welcher wir einiges anführen wollen. Ob es aber damit noch immer bei ihnen so gehalten wird oder es damals, als ich mich dort aufhielt, so gehalten wurde, weiß ich nicht bestimmt, denn aus Scheu vor ihnen forschte ich nicht neugierig danach, und sie selbst waren aufs sorgfältigste darauf bedacht, daß ich ihre Glaubensgrundsätze nicht erführe. Sämtliche Artikel ihrer Ketzerei sollen sie dem Evangelienkommentar eines gewissen Engländers John Wiclif34 entnommen haben, wozu andere wie Jan Hus, Hieronymus von Prag und Jan Rokycana nachträglich einiges hinzugefügt haben. Aber auch ein gewisser Peter von Dresden35 und der Prämonstratensermönch Johann36 haben sich einige neue Irrtümer ausgedacht und jenen leichtgläubigen Völkern zu ihrem Verderben beigebracht. Jan Hus und Hieronymus von Prag sind deswegen auf dem Konzil von Konstanz verbrannt worden; sie behartten mit so hartnäckiger Beständigkeit auf ihrer Meinung, daß man sich, wie Poggio37 als Augenzeuge schreibt, von keinem Philosophen vorstellen kann, er sei so freudig in den Tod gegangen. Es war aber Hieronymus ein Mann von wundersamer Beredsamkeit, weshalb auch die Böhmen beide wie Heilige alljährlich verehren sollen.

❡ Die Lehrsätze ihrer verderblichen Ketzerei sollen folgende sein: Der römische Bischof sei den übrigen Bischöfen gleich. Ein Fegefeuer gäbe es nicht. Vergeblich sei es, für die Toten zu beten, und es sei dies eine Erfindung priesterlicher Habsucht. Die Bilder Gottes und der Heiligen seien zu zerstören und die Bettelorden von bösen Geistern erfunden. Die Priester müßten arm sein und sich einzig mit Almosen begnügen. Die Ohrenbeichte sei dummes Zeug; es genüge, daß jeder für sich in seiner Kammer Gott seine Sünden beichte. Auch mit den geweihten Friedhöfen sei es ein eitler Brauch. Und der Priester dürfe an jedem beliebigen Ort den heiligen Leib Christi wandeln. Das kanonische Stundengebet sei unnütze Zeitverschwendung. Das von der Kirche eingesetzte Fasten enthalte nichts Verdienstliches. Dazu kommen noch viele andere Irrtümer, die von ihnen aufgebracht worden sind.

Fünfzehntes Kapitel

Über die religiösen Verirrungen der Böhmen

Die Kunde von diesen Verirrungen wäre wohl schon längst in unsere Gegenden gedrungen, auch ohne daß der Pfarrer von Oberwesel38, ein Professor der heiligen Theologie, diese in seine Bücher eingestreut hätte, von denen er mehrere herausgab. Er war durch einen von Aachen39 in seine Heimat zurückkehrenden Böhmen mitgenommen und von den Irrtümern der Böhmen angesteckt worden. Er wurde aber in Mainz gezwungen, zu widerrufen und seine Schriften öffentlich zu verbrennen. Auch hatte er mehrere Artikel verfaßt, die dem Glauben und der römischen Kirche entgegenstanden; einer davon lautet: Der heilige Petrus habe das Fasten eingesetzt, weil er ein Fischer war und so seine Fische schneller und teurer hätte verkaufen können.

❡ In Böhmen gibt es eine Stadt, Tabor genannt, die verschiedene Arten von Ketzern beherbergt, über die Enea Silvio in seinem Dialog40; vieles berichtet und von denen er noch folgende Irrtümer aufzählt:

„Den römischen Papst wollen sie nicht als ihr Oberhaupt, ja überhaupt weder den Primat noch die Kirche anerkennen. Der Klerus soll kein Eigentum haben. Das Fegefeuer leugnen sie. Alle Gemälde verschmähen sie. Die Fürbitten der bereits mit Christus herrschenden Heiligen nützten den Sterblichen nichts. Außer Sonntag und Ostern begehen sie keinen Festtag. Die Eucharistie reichen sie unter der Gestalt des Brotes und des Weines kleinen Kindern und Narren. Wenn sie das Opfer feiern, sprechen sie nur das Gebet des Herrn und die Worte zur Wandlung. Dabei wechseln sie weder ihren Anzug, noch legen sie irgendeinen Ornat an. Einige behaupten sogar, im Sakrament des Altars sei nicht der wahrhaftige Leib des Herrn, sondern nur eine Vorstellung davon. Von den Sakramenten nehmen sie die Taufe, die Eucharistie, die Ehe und die Priesterweihe an; von der Buße halten sie nicht viel, von der Firmung und der letzten Ölung gar nichts. Den Mönchsorden sind sie todfeind und versichern, das seien Erfindungen des Teufels. Zur Taufe nehmen sie einfaches Flußwasser. Weder Wasser noch Salz wird bei ihnen geweiht. Sie haben keine geweihten Friedhöfe und begraben ihre Toten, wie sie es verdienen: auf dem Feld, gleich dem Vieh. Die Kirchweihe verlachen sie und feiern das Sakrament an jedem beliebigen Ort. Sie haben keine größere Sorge als das Predigthören. Wenn darin einer nachlässig und träge ist oder während der Zeit der Predigt dem Geschäft oder dem Spiel nachgeht, so bekommt er Rutenstreiche und wird gezwungen, hineinzugehen und das Wort Gottes zu hören. Sie haben ein Holzhaus, das von ihnen Tempel genannt wird, das aber wie eine Scheune aussieht; dort predigen die Priester und.legen alle Tage das Gesetz aus. Es gibt darin aber nur einen Altar, und der ist weder geweiht, noch soll er es werden. Die Priester tragen weder die Tonsur, noch scheren sie den Bart.“ Soweit Enea Silvio.

❡ Wie man erzählt, ist bei ihnen angeblich noch eine andere abscheuliche Torheit in Gebrauch. Nach der Predigt soll sich die Gemeinde in der Kirche versammeln, und nachdem das „Wachset und vermehret Euch!“ gesprochen und die Kerzen ausgelöscht wurden, paart sich der Nächstbeste mit der Nächstbesten. Ich habe dort aber davon nie gehört.41

Sechzehntes Kapitel

Von der Mode in den Städten und einem reichen Müller

An irdischen Gütern wird den Böhmen vieles gewährt. Was sie im Himmel zu hoffen haben, ist sehr zweifelhaft. Gebe nur der allmächtige Gott, daß sie von ihren Irrtümern zu besserer Einsicht zurückkehren möchten! So viel wollte ich kurz über die Zustände und Sitten des Landes anläßlich meines Aufenthaltes in der Hauptstadt bemerken, damit Du nicht etwa glaubst, ich hätte dort im Mittelpunkt des Landes mich nicht umgesehen.

❡ Die obigen Bemerkungen treffen allerdings mehr auf das Landvolk als auf die Städter zu. Natürlich unterscheiden sich die Sitten der etwas feineren Bürger und Stadtleute ein wenig von denen des Landvolkes, sei es durch größeren Reichtum, die weite und längere Kleidung oder durch das Haupthaar, das sie sorgfältiger pflegen; entweder sie binden es mit Leinen- oder bunten Seidenbändern am Scheitel zusammen, oder sie lassen es gekräuselt herunterhängen. Das Haar, in lange, dünne Zöpfe geteilt, tragen sie unter den mit Fuchsfell gefütterten Hussitentalaren. An den hohen Mützen aus Fuchspelz kann man die ketzerischen Männer sowie an den bis zur Erde niederhängenden Pelzmänteln die Frauen erkennen, wenn sie zur Kirche gehen. Im übrigen findet man dort wie überall neben den Bösen auch Gute und umgekehrt sowie Arme neben Reichen, die meist für geizig gehalten werden, gemäß jenem Worte Juvenals42: „Wachsen stets fühlst du die Liebe zum Gelde mit wachsender Habe; nicht so danach mag begehrten, wer nicht es hat....“

❡ Ich habe dort einen Müller gekannt, der aus einem blutarmen Fremdling ein so reicher Mann geworden war, daß er neben seinem Mühlengeschäft täglich fünfzehn vierspännige Pflüge mit je zwei Knechten auf seinen Ländereien arbeiten ließ. Zugleich besaß er noch so viel Bargeld und Getreide, daß er auch einem großen Herrn an Reichtum nicht nachstand. Obwohl er allgemein als reich bekannt war, trug er einen schäbigen und geflickten Kittel; und neben anderen Arbeiten fuhr er selbst das Mehl in die Städte und Dörfer. Wenn aber der König mit seinem Gefolge in die benachbarte Stadt Rakonitz kam, so mußte er ihn für die Dauer des Aufenthaltes mit Brot versorgen.

Siebzehntes Kapitel

Wie Johann von den Böhmen als Junker betitelt, aber wie ein Hund behandelt wurde

Von einem anderen steinreichen, aber nicht so sparsamen Manne hörte ich ebenfalls; der war als armer Junge aus Alemannien in die Stadt Kuttenberg gekommen zu einer Witwe, die er später, als er herangewachsen war, zur Frau nahm, wodurch er plötzlich zu ungeheurem Reichtum gelangte und sich auch den Namen Pan Hanse, das heißt Herr Hans, erwarb. Ihre deutschen Mitbürger nennen die Böhmen, damit sie nicht für geborene Böhmen gehalten werden, nicht mit böhmischem, sondern mit deutschem, nur wenig verändertem Namen. Das Landvolk aber nennt jeden, der in Sitten oder Kleidung, Stand oder Vermögen sich von ihm unterscheidet, leicht mit dem Titel Herr. Darum pflegten sie auch mich, wie unbekannt ich auch war, Pan Hansel, das heißt Herr Hänschen, zu nennen, was mir gar nicht schlecht gefiel. Denn ich dachte und sprach bei mir: „Ist es denn nicht besser, den Böhmen zu dienen, von welchen du Herr oder auch Panitz, was Junker bedeutet, genannt wirst, als hinter den Büchern zu sitzen und von den Schülern ein Schütze geschimpft und für nichts geachtet zu werden?“ So dachte ich öfter bei mir, wenn es mir gerade recht gut ging. Wenn ich aber von den Herrn gepeitscht wurde oder Fußtritte bekam, war es mir verleidet, Herr genannt zu werden. Indessen werden jene herrschaftlichen Diener noch ziemlich anständig behandelt, die den Herrn ständig begleiten und Tag und Nacht zum Dienst bereitstehen. Man läßt ihnen bessere Tage zukommen als den Knechten; wenn man das „gute Tage“ nennen kann, einem Herrn mit Furcht und Schrecken zu dienen, keinen Augenblick für sich zur Erholung frei zu haben, wonach man doch als junger Mensch so sehr verlangt, wenn man fast bei jedem Wort des Herrn zitternd die Knie beugen, seinen Jähzorn mit großer Gelassenheit ertragen, harte oder erniedrigende Befehle und sogar Schläge über sich ergehen lassen muß! Dieses und vieles andere hatte ich als junger Mensch bei den bereits erwähnten Adligen und auch bei meinem Herrn durchzumachen, dem ich etwa drei Jahre diente und mit welchem ich nach Prag kam, was Anlaß zu dieser Abschweifung gab.

Achtzehntes Kapitel

Warum Johann die Geliebte des Herrn zu Chlum nicht als Burgherrin ehrte

Inzwischen verfolgten wir unseren Weg von Prag aus weiter bis zur Burg jenes Adligen, in dessen Dienste mein Herr treten wollte. Die Burg hieß Chlum und lag nach Mähren zu, nicht weit vom Herzynischen Wald entfernt, der - wie schon bemerkt - ganz Böhmen einschließt. Nach drei Tagen trafen wir dort ein und wurden freundlich aufgenommen.

❡ Während unseres dortigen Aufenthaltes ritten wir mit dem Burgherren oft nach Mähren, wo er einen Sohn hatte, nach Prag oder in andere Orte. Der Burgherr war ein dicker Mann, sehr reich und mächtig, dabei aber ziemlich geizig. Er hatte die Tochter eines christlichen Grafen zur Frau; doch diese hielt er, ich weiß nicht, warum, wie eine Gefangene und mied jeden Umgang mit ihr, statt dessen lebte er mit der Frau eines armen Edelmannes. Diese regierte den gesamten Haushalt und wurde vom ganzen Gesinde wie die Mutter und Hausfrau geehrt. Ich jedoch verabscheute sie als eine Dirne, die sie auch war, und würdigte sie keiner Ehrbezeigung. Dafür trafen mich oftmals ihr und ihres Herrn Unwille, und ich wurde von meinem Herrn auf Grund ihrer Anklagen wegen geringfügiger Ursache mit Schlägen gestraft. Sie stellte mir eifrig nach und suchte nach einem Grund, um mich aus dem Hause entfernen zu können, denn es bereitete ihr großen Verdruß, daß sie von allen als Burgfrau geehrt und nur von mir, dem deutschen Christenknaben, als Dirne geringgeschätzt und verachtet wurde. Sie sah sehr wohl, daß ich auf keine Weise zur Ehrfurcht gegen sie gebracht werden konnte, daß sie vielmehr wegen der rechtmäßigen Herrin (der sie von dem Herrn aus schändlicher Liebe vorgezogen wurde) von mir geringgeschätzt wurde. Da geschah es einmal, daß sie von ihren geheimen Aufpassern erfuhr, ich nähme die Speisereste von der Tafel und teile sie an die Kinder unserer unten am Fuße der Burg wohnenden Waschfrau aus. Sofort brachte sie die Sache klagend vor ihren Herrn, und der ließ mich aus dem Hause jagen. Mein Herr jedoch nahm es übel, daß ich aus so geringfügigem Anlaß fortgejagt wurde, er machte auch wenig Hehl aus seinem Unwillen darüber und kehrte bald danach zu den Seinen zurück, zu denen er mich vorausgeschickt hatte.

❡ Als er dann wieder an einen anderen Hof zu ziehen gedachte, wollte ich nicht mehr mit. Ich bat um die Erlaubnis, nach siebenjährigem Elend in die Heimat zurückkehren zu dürfen. Darum flehte ich ihn auf das inständigste und unter Tränen an, brachte ihn aber nur über die Maßen heftig gegen mich auf, so daß er mich, da ich nicht Ruhe gab, halb totschlug. Danach reiste er mit einem anderen Diener ab, nachdem er seinen Eltern und Brüdern den Befehl hinterlassen hatte, meine guten Kleider zu verschließen und mich streng zu bewachen. Bei einem Fluchtversuch sollten sie mich verfolgen und am nächsten Baum aufhängen.

Neunzehntes Kapitel

Wie eine alte Frau Johann durch Zauberei zur Flucht verhelfen wollte

Ich Armer, was sollte ich in meiner übergroßen Angst anfangen? Wohin mich wenden? Ich wußte es nicht. Meine Gedanken verwirrten sich. Eine quälende Unruhe nagte an meinem Herzen, das nirgendwo anders als zu Hause bei der Mutter war. Ich hatte zudem von dem großen Sterben gehört, welches die Pest in Deutschland angerichtet hatte, und allenthalben ging das Gerücht um, daß die schreckliche Seuche auch dem Böhmerlande immer näher rücke. Es bangte mir davor, dort zu sterben, wo ich nicht minder die Verdammnis der Seele zu fürchten hatte. Wie aber von da entkommen? Tag und Nacht sann ich verzweifelt auf Flucht.

❡ In meiner Angst zog ich auch eine alte Frau darüber zu Rate. Diese hatte Mitleid mit mir und sprach: „Wenn du meinem Rate folgen willst, so werde ich schon bald dafür sorgen, daß du in die Heimat gelangst.“ Als ich aber von ihr die Art und Weise und den Weg erfahren hatte, daß ich nur eine Nacht und einen Tag brauchen sollte, um am Ziele zu sein, rief ich: „Fort mit dir ins Feuer, das du verdient hast!“ Denn sie war eine böse Hexe, in teuflischen Künsten erfahren, deren es dort viele gibt. Sie wollte mich, wie sie sagte, mit ihrer Zauberkunst auf einer schwarzen Kuh über Wälder und Täler und Berge hinweg nach Hause bringen. Wenig hätte gefehlt, so wäre ich darauf eingegangen. Allein die Furcht, vom Teufel geschädigt zu werden, hielt mich ab. Dieses alte Weib sah ich unter beiden Gestalten kommunizieren, was sie vordem nie getan hatte. Sie stammte aus einer Stadt in Alemannien, wo sie vielleicht wegen ihrer Hexenkunst hatte fliehen müssen. Denn es sollen viele, die aus unseren Gegenden flüchten, dorthin wie in ein sicheres Asyl sich begeben. Selten wird man da eine Stadt finden, wo es nicht Verfemte aus anderen Gegenden gibt; und wenn sie in der einen entlarvt und vertrieben sind, so suchen sie eine andere auf.

❡ Außer den oben erwähnten hat jenes Reich noch manche anderen, ziemlich bedeutenden Städte. Die Hauptstadt des Reiches und Residenz des Königs und des Bischofs, Prag, dessen Namen wir mit dem Worte Schwelle wiedergeben könnten, besitzt außer vier Mendikantenklöstern43, die vor dreißig Jahren von Grund auf zerstört worden sind, noch mehrere andere Häuser von Ordensleuten. Außerdem sind noch folgende Städte zu erwähnen: Časlau, Deutsch Brod, Kauřim, Kuttenberg, Pilsen, Rakonitz, Luditz, Berg Tabor, das Bollwerk vielfacher Ketzer, Saaz, Leitmeritz, Budweis, Dachsen, Kaaden, Brüx, Kraupen, Kralowitz, Teplitz, wo eine berühmte Abtei und warme Quellen sind, Schlan und Laun. Die letzten beiden Städte hat der hochwürdigste Herr Weihbischof von Mainz44 aus den Verirrungen der Ketzerei zur Gemeinschaft der Kirche zurückgeführt, wie er selbst vor nun schon langer Zeit mir es im Rheingau bezeugt hat, als er zur Weihe des neuen Abtes dorthin gekommen war. Er erkundigte sich bei mir, ob sie auch noch stark im Glauben beharrten, nachdem er sie, wie er zweifellos glaubte, durch seine Predigt aus der ketzerischen Bosheit befreit hatte.

Zwanzigstes Kapitel

Wie Johann Gelegenheit zur Flucht bekam

Als aber das Osterfest herannahte, bat ich meine Herrschaft um die Kleider, die sie, wie oben bemerkt, mir weggenommen hatte; ich verlangte sie wegen der Festtage und der Gäste, die kommen könnten. Man fand sich auch wirklich bereit, mir sie wiederzugeben. Ich behielt sie nun täglich an, sann in meinem Herzen auf Flucht und suchte vorsichtig eine günstige Gelegenheit dazu zu erspähen. Mehrere Male hatte ich mit Umsicht alle Anstalten zur Flucht getroffen; aber wenn es drauf ankam, packte mich eine so große Furcht, daß ich nicht in der Lage war, auch nur einen Schritt zu tun.

❡ Eines Tages mußte ich als Diener den alten Herrn in die nächste Stadt zum Markte begleiten. Ich hatte nichts an als Hemd und Rock, weil ich schon an der Möglichkeit zu fliehen gezweifelt und beim Weggehen an nichts gedacht hatte. Während der Herr mit anderen beim Wein saß, blieb ich mir selbst überlassen; ich ging aus der Herberge zum Markt hinüber, um für einen halben Gulden Seide zu kaufen, woraus unsere Frau ein Futteral für die Bibel machen wollte, von der sie eine kürzlich in ihrer Sprache gedruckte gerade erst angeschafft hatte.45 Als ich die Seide eingekauft hatte, schlenderte ich mit einem deutschen Pilger, von dem ich gern etwas aus Deutschland hören wollte, in Gedanken versunken zum Tore hinaus.

❡ Als unser Gespräch beendet und ich wieder zu mir gekommen war, wurde mir bewußt, was ich, indem ich wegging, getan hatte. Ich brach in Wehklagen aus und fürchtete mich zurückzugehen. Vielleicht hatte mich jemand hinausgehen schen, vielleicht suchte mich mein Herr schon, und dann war ich verloren: Ich würde wegen meines Fluchtversuchs zu Hause scharf bewacht und mit einer harten Züchtigung bestraft werden. Ratlos und in verzweifelter Angst bat ich den Bettler um Rat, er möge mir doch um Gotteswillen sagen, was ihm in der Sache das beste schien. Der Mann hatte unserer Unterhaltung entnommen, wie leid es mir tat, nicht studieren zu können, und daß ich, wenn ich nur genug hätte lernen können, gern Mönch geworden wäre. Er ermunterte mich daher, die Gelegenheit zur Flucht zu nutzen. „Mein Sohn“, sprach er, „weil du nun schon einmal fort bist und, wenn du in die Stadt zurückkehrst, fürchten mußt, für die Folgezeit deinen Leuten immer verdächtig zu bleiben, so rate ich dir: Fürchte dich nicht, setze auf Gott dein Vertrauen, nutze die günstige Gelegenheit zur Flucht und setze den angetretenen Weg mit aller Eile fort. Ich hoffe, daß du glücklich entkommen wirst. Ich werde langsamen Schrittes hinter dir hergehen. Und sollten mich deine Verfolger fragen, ob ich nicht einen so und so gesehen habe, werde ich ihnen sagen, daß sie sich vergebens beeilten, und ich werde ihnen fleißig zureden, die Verfolgung in dieser Richtung als aussichtslos aufzugeben und sich anderswohin zu wenden.“

❡ Solcher Zuspruch gab mir neuen Mut. Ich verabschiedete mich von dem Mann und dankte ihm vielmals für seine aufmunternden Worte. Nun sputete ich mich und nahm, wie man so sagt, die Beine in die Hand, um bis zur Vesper noch einen Weg von drei Meilen zurückzulegen. Im Laufen sah ich mich häufig um, weil ich fürchtete, es könnte mich ein Verfolger ergreifen. Doch weder der Pilger noch jemand anders folgte mir.

❡ Während ich nun eilenden Schrittes meiner Straße folgte, begegnete ich einigen Wanderern, die mich, nachdem sie den Grund meiner Eile erfahren hatten, einluden, mit ihnen in ihre Stadt zu gehen. Ich sagte sofort zu, da ich sah, wie sie von ganzem Herzen Mitleid mit mir hatten, und sie versprachen, zur Nacht für mich sorgen zu wollen. Des Abends wurde ich von ihnen sehr gastfteundlich behandelt, und der Hausherr wusch mir freundlich die Füße und ließ mich reichlich bewirten, obwohl er ein Ketzer war.

❡ Die Stadt hieß Saaz, und der Bürger war ein reicher Gerber, der am selben Tag auf dem bereits erwähnten Markt viele Häute gekauft und mich dort mit meinem Herrn über den Markt hatte gehen sehen. Durch diesen Gerber habe ich auch meiner Herrin die Seide zurückgeschickt und durch ihn später erfahren, wie sehr sie meine Flucht bedauerte, zumal sie durch die Rücksendung der Seide meine Treue als erwiesen sah.

Einundzwanzigstes Kapitel

Wie Johann von einem Nürnberger Kaufmann in die Heimat mitgenommen wurde

Am nächsten Morgen verschaffte mir der Wirt auf meine Bitte hin Arbeit bei einem Weber, bei dem ich etwas vom Beruf meines Vaters lernen wollte, damit ich mich desto freier und mutiger bei meinen Leuten zu Hause wieder sehen lassen konnte. Als ich dann nach einigen Tagen in der Stadt mehrmals einige von den Adligen sah, die mich als früheren Diener jenes Herrn kannten, mußte ich fürchten, von ihnen verraten zu werden.

❡ Ich begab mich daher in eine andere, drei Meilen von Saaz entfernte Stadt, die Schlan genannt wird. Weil ich dort jedoch keinen Weber fand, der mich in die Lehre nehmen wollte, schloß ich mich einem Gerbergesellen an, der nach einer anderen Stadt zog, die Leitmeritz hieß. Und da unserer beider Hoffnung auch hier getäuscht wurde, wandten wir uns nach einer dritten Stadt mit Namen Kralowitz. Hier fand der Gerbergeselle bei einem Meister seines Handwerks Beschäftigung, und er verschaffte auch mir Arbeit bei einem Fleischer oder, wie man gewöhnlich sagt, bei einem Metzger. Obwohl ich von Natur aus einen großen Abscheu gegen dieses Handwerk hatte, nahm ich notgedrungen die Stelle an. Da mir das Schlachten aber zu sehr gegen das Gemüt ging, sträubte ich mich, es zu erlernen. Als ich einen Reisegefährten fand, der auch weiterwandern wollte, freute ich mich und bat ihn, mich mitreisen zu lassen. Wie ich nun mit ihm fortziehen wollte, hielt mich der Schlächter zurück und forderte von mir seine Auslagen. Mein Gefährte - ein deutscher Hausierer, der seine Waren von Ort zu Ort feilhielt - hatte Mitleid mit mir, ging hinaus aufs Feld und kam mit einem Lamm zurück, das er, seiner Aussage nach, dort gefunden hatte. Das gab er dem Metzger, um mich freizubekommen, und der ließ mich sofort ziehen.

❡ Mein Gefährte war ein Brüxer Bürger. Brüx — nahe der deutschen Grenze gelegen - ist eine Stadt mittlerer Größe; sie ist von Ketzern und Katholiken bewohnt. Hier angekommen, fand ich einen Herrn deutscher Nation, der mich wegen der böhmischen Sprache, die er nicht beherrschte, in Dienst nahm, um mich beim Besuch der böhmischen Märkte als Dolmetscher zu gebrauchen. Denn er handelte mit Zucker, den er selbst in verschiedenen Sorten zu sieden verstand. Ich blieb jedoch nur drei Wochen bei ihm, dann fand ich Männer, die nach Karlsbad reisten, wo ich seinerzeit von dem Adligen heimlich geraubt und nach Böhmen entführt worden war. Hocherfreut bat ich den Kaufmann um die Erlaubnis, weggehen zu dürfen, sowie um ein Paar Schuhe, die mich bis in die Heimat tragen würden. Als ich dies erwirkt hatte, sagte ich mit Freuden Böhmen Lebewohl; und es ist mir wegen der von mir erzählten und anderer dort gemachten Erfahrungen über die Maßen leid, Böhmen jemals gesehen und kennengelernt zu haben. Ohne Zweifel von einem Engel geführt, zog ich wie Israel voller Jubel aus dem Ägypten der Ketzer und von dem barbarischen Volk fort.

❡ Nach einem Zeitraum von fünf Jahren, genau um die gleiche Jahreszeit, da ich gekommen war, kehrte ich jetzt zum zweitenmal in dem Städtchen und bei meiner Wirtin wieder ein, deren Eheherr inzwischen gestorben war. Sie nahm mich freundlich auf, empfahl mich bestens einem Nürnberger Kaufmann nebst Frau und Familie, der nach beendeter Badekur mit seiner Kutsche nach Hause zurückkehren wollte, und bat ihn, er möge mich mitfahren lassen. So gelangte ich glücklich bis Nürnberg und sagte jenen meinen Dank dafür, daß sie mich mitgenommen hatten.

❡ Dort in Nürnberg fand ich Fuhrleute aus unserer Stadt und kehrte mit diesen um das Fest des heiligen Johannes des Täufers (24. 6.) in die Heimat zurück, nicht als Lateiner, wie unsere Leute einst gehofft hatten, auch nicht als Doktor, wie ich es einst in kindischer Anmaßung vorhergesagt hatte, ja nicht einmal mehr als Deutscher, als der ich von ihnen fortgegangen war, sondern als ein Böhme, als ein Barbar und Heide nach Tracht und Benehmen und wegen meiner langen, blonden Haare, die ich dort nach der Landessitte mit größter Sorgfalt gepflegt hatte und die mir fast bis zum Gürtel hinabwallten. So entstellt, wie man mir später versicherte, und als Unbekannter kehrte ich nach sechsjähriger Abwesenheit endlich gesund und wohlbehalten durch Gottes Gnade wieder heim, und alle betrachteten mich mit Scheu wegen der großen Veränderung, die freilich nicht von der Rechten des Allerhöchsten stammte.

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Als der Kaufmann von Johann für das Mitnehmen bezahlt werden wollte

Aber mit dieser Rückkehr aus dem kleinen böhmischen Badeorte, wo man warmes, ja siedendheißes Wasser wie aus der Hölle selbst unaufhörlich in stärkstem Sprudel aus dem Innern der Erde hervorspringen sicht, ging es indessen nicht so einfach und glatt ab, wie wir es oben beschrieben haben. Vielmehr war diese Rückkehr mit verschiedenen Zwischenfällen, Widerwärtigkeiten und Unfällen verbunden, zu deren Beschreibung eine längere Erzählung erforderlich wäre. Habe ich doch die verschiedenen Wechselfälle, denen Wanderer auf längeren Reisen gewöhnlich ausgesetzt sind, weit mehr erfahren, als Du es nur glauben solltest, wenn ich es Dir nicht ausdrücklich erzählte.

❡ Ich will hier nicht von dem Mißgeschick berichten, das ich auf der Reise von jenem böhmischen Badeort bis Nürnberg zu erleiden hatte. Ich muß aber noch erwähnen, daß es gar nicht so leicht war, von jenem Kaufmann loszukommen. Denn als ich nach unserer Ankunft weggehen wollte und ihm höflich Dank sagte, fuhr er mich armen Schelm zum Entgelt dafür mit harten Worten an und forderte Bezahlung, schenkte er doch dem Wort des Hausierers Glauben, ich hätte sehr reiche Eltern. Damit ich mitgenommen wurde, hatte dieser ihm nämlich gesagt, mein Vater sei der angesehenste und vermögendste Bürger meiner Vaterstadt. Dies hatte auch ich auf Betreiben der erwähnten böhmischen Wirtin den Kaufmann glauben gemacht, damit ich durch die Hoffnung auf eine von meinen Angehörigen zu erwartende Belohnung, wie es ja zu geschehen pflegt, in der Gesellschaft jener Familie eine desto leichtere und angenehmere Reise nach Nürnberg haben möchte.

❡ Um jene Vorspiegelungen, durch die sie mir zu helfen suchte, glaubhafter zu machen, hatte sich die kluge Frau nicht gescheut, folgende Umstände dazu zu erfinden. Würde ich von dem Kutscher gefragt werden, woher ich sei, wer meine Eltern seien, wie, warum und durch was für Leute ich in so jungen Jahren in jene fremden Gegenden gekommen sei, so hatte die Frau mich angestiftet, folgende wahrscheinlich klingende Geschichte dem leichtgläubigen Menschen zu erzählen. Von Not und Heimweh getrieben, ging ich darauf ein und begann dann mit diesen oder ähnlichen Worten: „Als Kaiser Friedrich seinen Sohn, den römischen König Maximilian, aus der Gefangenschaft gelöst hatte46 und mit den Fürsten aus Niederdeutschland wieder im Triumph durch meine Vaterstadt zog — die er auch bei der Hinfahrt berührt hatte -, traf es sich, daß er etliche Tage zur Erholung zubrachte. Seine Wohnung nahm er bei dem und dem Bürger, der mein Vater ist. (Ich machte einen berühmten und sehr reichen Bürger namhaft, bei dem alle Fürsten und Adligen, ja sogar der Kaiser, wenn sie durch Miltenberg kommen, Herberge nehmen.) Den werdet Ihr ja wohl kennen oder doch schon von ihm gehört haben.“

❡ Kaum hatte ich das gesagt, entgegnete er: „Wenn du ein Kind von jenem Manne bist, warum befindest du armer Schelm dich denn in diesen fremden Gegenden in Elend und großer Armut? Wer hat dich hierher gebracht? Weiß dein Vater denn nicht, daß du in solchem Elend bist und hier als Landstreicher umherziehst wie ein verlorenes Schaf?“

❡ Darauf erwiderte ich: „Ob mein Vater weiß, in wie großer Not ich lebe und wie dürftig ich in diesen Gegenden hier umherschweife, ist mir nicht bekannt. Nur das eine kann ich wissen, daß es nun bereits fast sechs Jahre sind, seit ich verloren bin und er mich nicht gesehen hat.“

❡ Darauf jener: „Nun, so erzähle mir doch, wie du ihm verlorengegangen bist, und entdecke mir rasch den Hergang einer so großen Schandtat!“

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Was Johann dem Kutscher des Kaufmanns noch aufgebunden hat

Indem ich dann fortfuhr in meiner erfundenen Geschichte, brachte ich ihn leicht dahin, meiner Rede Glauben zu schenken. Folgendermaßen fuhrt ich fort: „Der Kaiser hielt also etliche Tage hof in dem Hause meines Vaters, das, wie du weißt, sehr geräumig ist und in seinen vielen Kammern mit ihrer prächtigen Einrichtung allen hohen Herrn aus der kaiserlichen Begleitung Unterkommen bot, während das Kriegsvolk bei den Bürgern der Stadt einquartiert wurde. Da fing ich an, mich an einen vornehmen Ritter des Hofes anzuschließen, angelockt durch die Schönheit der Pferde, durch die Freude am Reiten und an den hübschen Hofpagen. Als nun beim Aufbruch zur Weiterfahrt der Ritter sah, daß ich traurig wurde, fragte er mich, ob es mir Ernst sei, mitzureisen, und ob ich wohl Lust hätte am Ritterstand, wie ich ihn jetzt bei ihnen gesehen? Ich gab ihm darauf, kindisch wie ich war und unbekannt mit den Beschwerden des Hoflebens und mit dem Elend der Ritter, zur Antwort, mit Freuden wollte ich mit ihnen reisen, und so ein Leben, danach stehe mein höchstes Verlangen. Ich bat ihn dringend, mich ohne Wissen meiner Eltern mitziehen zu lassen.

❡ Da er das hörte, gab er freudig seine Einwilligung und schärfte mir ein, ja niemandem von der Sache zu sagen. Am Tag der Abreise erklangen zur festgesetzten Stunde wie üblich die Hörner und erschallten die Trompeten. In allen Herbergen rüsteten sich das Fußvolk und die Reiter mit Lärmen zum Abmarsch. Während meine Eltern und alles Gesinde vollauf beschäftigt waren, den abziehenden Gästen die Rechnung zu machen, und niemand meinethalben Sorge, Verdacht oder Furcht hatte, schaffte mich der Ritter so heimlich wie nur möglich in den Wagen und brachte mich vorsichtig, ohne daß jemand davon wußte, bis in diese Provinzen.

❡ Als ich dann bei mir erwog, daß ich heimlich und verstohlen entführt worden sei, wollte ich wieder in die Heimat zurück, doch ist mir das bis auf den heutigen Tag nicht gelungen. Nun endlich konnte ich mich aus der Gefangenschaft meines Entführers, bei dem ich so lange Zeit viel Unangenehmes ausstehen mußte, durch die Flucht befreien. Ich bitte dich, sofern du mir wieder in die deutsche Heimat verhelfen kannst, es zu tun. Ich hoffe doch, daß du meinem Vater damit einen großen Gefallen erweist, und er wird es dir ohne allen Zweifel mit einem tüchtigen Trinkgeld lohnen, wie du es verdienst.“

Vierundzwanzigstes Kapitel

Wie es Johann gelang, den Kutscher loszuwerden

Durch solche Reden wurde der Mann zu frommem Mitleid gerührt; er empfahl mich dem Kaufmann als Kind eines großen Herrn bestens und nahm mich mit bis Nürnberg. Bevor mich der Kaufmann entließ, bestand er allerdings auf seinem Dank. Der Kutscher nahm sich meiner an und versprach, er werde den Lohn von meinen Angehörigen schon einholen. Er wollte mich in seine Herberge führen. Als ich aber merkte, daß er mit mir nach Hause zu reisen beabsichtigte, überlegte ich ängstlich, wie ich ihn auf eine anständige Weise loswerden könnte, ohne daß der ganze Schwindel an den Tag käme.

❡ Als wir nun durch die Straßen gingen, kam uns ein Kaufmann entgegen, der schon von weitem mit lauter Stimme rief: „Mein lieber Schwab“, so hieß der Kutscher nämlich, „schon lange habe ich auf deine Ankunft gewartet; morgen sollst du mich mit meiner Frau nach dem Badeort fahren, aus dem du eben gekommen bist.“

❡ Darauf sagte Schwab: „Recht gern werde ich Euch den Willen tun, wenn ich diesen jungen Menschen, den ich aus jenem Ort im Auftrag einer dort ansässigen Frau mitgenommen, seinem Vater wieder zurückgebracht habe; dem ist er heimlich geraubt worden. Er war im Elend. Er ist nämlich eines großen Miltenbergers Kind, und ich hoffe, von dem Vater einen tüchtigen Dank zu bekommen, wenn ich ihm den Sohn wiederbringe.“

❡ Darauf sagte der Kaufmann: „Nichts da! Du gehst mit mir. Dieses Bürschlein können die Fuhrleute aus seiner Vaterstadt, von denen ich gestern einige gesehen habe, seinem Vater zurückbringen. Nach unserer Rückkehr kannst du dann, wenn wir am Leben bleiben, ihm nachreisen und deinen Lohn einholen.“

❡ Nachdem er diesen glücklichen Rat vernommen hatte, wandte sich Schwab mir zu und sprach: „Wirst du mich dann auch noch kennen, wenn ich zu dir und deinem Vater komme? Wirst du den Deinen auch sagen, was ich dir alles Gute getan habe und daß mir dafür etwas Belohnung zusteht?“

❡ Als ich ihm darauf versicherte, dies niemals zu vergessen, und ihm versprach, es auch nie vor irgendeinem Menschen zu leugnen, sagte Schwab dem Kaufmann seinen Dienst zu und begab sich mit mir zur Herberge der Miltenberger Fuhrleute.

❡ Wie wir in die Nähe des Hauses kamen, erblickte ich einen Fuhrmann, den ich kannte. Ich ging auf ihn zu, als wäre er mir unbekannt, und flüsterte ihm rasch die folgenden Worte ins Ohr: „Liebster Freund, ich bin jenes Webers Sohn; mein Begleiter glaubt aber, ich sei der Sohn von dem und dem. Dies mußte ich ihn glauben machen, damit er mich aus Böhmen mitnahm. Ich bitte dich also, sei so gut, wenn er dich danach fragt, so antworte ihm in diesem Sinne!“

❡ Er merkte gleich, worum es sich handelte, und sagte: „Schon gut! Ich habe verstanden. Laß mich nur machen. Ich werde es ihm schon beibringen, daß es sich so verhält.“

❡ Doch was soll ich Dich mit Einzelheiten aufhalten. Alles ging vortrefflich. Er ging auf den Kutscher zu und fragte ihn, wo in aller Welt er mich aufgegabelt habe.

❡ Darauf erwiderte jener mit überraschter Miene: „Kennt Ihr den Burschen und seine Eltern? Was glaubt Ihr wohl, daß sie mir für die Hilfe bei seiner Heimkehr als Dank geben werden?“

❡ „Den jungen Menschen kenne ich allerdings und weiß, daß sein Vater bei allen Fremden bekannt ist. Darum sollt Ihr nicht zweifeln: Wenn Ihr je einmal zu seinen Leuten kommt, kann Euch ein tüchtiges Trinkgeld zum Dank gar nicht ausbleiben.“

❡ Darauf er: „Ich hätte ihn gern selbst nach Hause gebracht, wenn die und die Sache mir nicht dazwischengekommen wäre. Ich hoffe aber, wenn ich wieder zurück bin und am Leben geblieben, ihm sehr bald zu folgen. Ich bitte Euch also, nehmt ihn jetzt in Eure Obhut und bringt ihn seinem Vater zurück. Vergeßt aber auch nicht, mich ihm zu empfehlen und ihm zu sagen, daß sein Sohn durch meine Hilfe zurückgekehrt ist. Und ich denke, wenn ich hinkomme, wird er mir, wie es üblich ist, ein tüchtiges Trinkgeld geben.“

❡ Darauf sprach der Fuhrmann: „Gern will ich Euren Wunsch erfüllen; daran sollt Ihr nicht den geringsten Zweifel haben.“

❡ Wir sagten uns gegenseitig Lebewohl und gingen unserer Wege.

❡ Nachdem wir die Herberge betreten hatten, wurde die Freude über mein Glück aber durch einen anderen unserer Fuhrleute in Trauer und Betrübnis verwandelt. Als nämlich der erste berichtete, ich sei des und des Webers Sohn, da platzte der dumme Mensch in seinem unbedachten Sinn gleich damit heraus, daß mein Vater schon längst gestorben sei und ich einen Stiefvater hätte. Da überströmten mich die bittersten Tränen, und ich brach in unaufhötrliches Schluchzen und lautes Weinen aus. Der Wirt und ein anderer fuhren jenen hart an und nannten ihn einen Lügner, weil sie mich trösten wollten, und versicherten mir unter vielen Schwüren, der Vater sei noch am Leben. Freundlich zuredend verhießen sie mir, ich würde ihn nach wenigen Tagen wiedersehen. Durch solche Versicherungen etwas beruhigt, kam ich dann mit ihnen zwar in die Vaterstadt, nicht aber mehr zum Vater zurück.


  1. Purkart von Sichlau. 

  2. Luditz im Kreis Eger, z. Z. Butzbachs im Besitz des Adelsgeschlechts der Vřesovice. 

  3. Es handelt sich wohl um den 12 km südwestlich von Dekov gelegenen Ort Soseň. 

  4. Die Grabkapelle des heiligen Wenzel (920-929) befindet sich im Sankt-Veits-Dom, der von den Gebäuden der Königsburg Hradschin umschlossen ist. 

  5. Die sogenannte Kleinseite. Für die Beschreibung Prags benutzt Butzbach die „Historia Bohemica"des Aenea Silvio sowie Hartmann Schedel „Weltchronik". 

  6. Wladislaw II., der älteste Sohn des polnischen Jagiellonenkönigs Kasimir IV., 1471-1516 König von Böhmen, seit 1490 auch König von Ungarn. 

  7. Besonders die Chronik des Dalimil, die als älteste tschechische Reimchronik angesehen und im 14. Jahrhundert in Versen sowie im 15. Jahrhundert in Prosa ins Deutsche übertragen wurde. 

  8. Die 1348 gegründete Universität (Carolinum). 

  9. Karl IV. (1316-1378), Kaiser seit 1355, als Karl V. König von Böhmen (1346-1378). 

  10. Die Karlsbrücke ruht auf 17 Pfeilern und 16 Bogen, ist 520 m lang und 10 m breit. 

  11. Dormitorium, Schlafsaal der Mönche. 

  12. Das Kloster Aula regia lag am Einfluß der Beraun in die Moldau, es wurde 1298 von König Wenzel II. (1278-1305) gegründet und am 10.8.1420 von den Taboriten zerstört. Nach Aenea Silvio befand sich an den Wänden des Kreuzganges eine fünf Fuß hohe Illustration der ganzen Bibel. 

  13. Rosenkränze sind bereits vor Butzbach in Böhmen bezeugt. 

  14. Konverse, Laienbruder eines Klosters. 

  15. Kutná Hora (Kuttenberg), königliche Bergstadt, einst von großer wirtschaftlicher Bedeutung; im Jahre 1300 wurden hier die ersten böhmischen Silbergroschen geschlagen. 

  16. Herzynischer Wald, nach Caesar Bezeichnung für die Böhmen umgebenden Gebirge. 

  17. Adamiten, die radikalste Gruppe der Hussiten, die Weltuntergangserwartung und Gütergemeinschaft mit freier Sexualmoral verband, von Jan Žižka 1421 militärisch niedergeworfen. hart 

  18. Taboriten, radikaler Flügel der Hussiten mit dem Zentrum Tabor; sie begnügten sich nicht wie die Gemäßigten, die Kalixtiner, mit der Forderung nach dem Laienkelch, der freien Predigt in der Landessprache und der Besitzlosigkeit des Klerus, sondern verwarfen auch die Lehre vom Fegefeuer, die Anbetung der Heiligen und die Bilderverehrung. Sie unterlagen am 30.5.1434 in der Schlacht bei Lipany den Gemäßigten und wurden bis 1437 völlig niedergerungen. 

  19. Waisen, auch Orphaniten genannt, eine gemäßigte Gruppe, die sich von den Taboriten abspaltete, als Prokop der Große 1425 zum Nachfolger Jan Žižka († 1424) als Heerführer der Taboriten gewählt wurde. Mit dem Priester Prokop dem Kleinen an der Spitze unternahmen sie 1427-1432 zusammen mit den Taboriten erfolgreiche Heerzüge in die Lausitz, nach Schlesien, Mähren, Ungarn, Franken, Österreich und die Mark Brandenburg. 

  20. Jan Žižka (um 1370-1424), bedeutendster Heerführer der Hussiten, der 1420 und 1422 das zahlenmäßig überlegene Heer Kaiser Sigismunds schlug. 

  21. Prokop der Große (um 1380-1434), Feldhauptmann under Jan Žižka, nach dessen Tod 1425 zum Führer der Taboriten gewählt. Unternahm 1426-1432 erfolgreiche Heerzüge nach Österreich, Sachsen, Mähren, Schlesien, Ungarn, der Lausitz und in die Mark Brandenburg. Fiel in der Schlacht bei Lipany am 30.5.1434, in der die Taboriten den gemäßigten Calixtinern unterlagen. 

  22. Jan Hus (um 1371-1415), tschechischer Reformator, kämpfte für eine tiefgreifende Reform von Kirche und Gesellschaft, 1409 Rektor der Prager Universität. 1412 verhängte der Erzbischof von Prag über ihn den Kirchenbann, wurde am 6.7.1415 auf dem Konzil von Konstanz öffentlich verbrannt. 

  23. Hieronymus von Prag (um 1360-1416), Kampfgefährte des Jan Hus. Er brachte von seinem Studium in Oxford die ersten theologischen Schriften Wiclifs nach Prag. Als Hus in Konstanz verhaftet wurde, eilte er diesem zu Hilfe, wurde aber selbst verhaftet und am 30.5.1416 als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. 

  24. Jakobellus von Mies († 1429). Anhänger des Jan Hus; auf seine Initiative gingen die Hussiten 1414 zum Abendmahl unter beiderlei Gestalt über, d.h. sie reichten den Gläubigen Brot und Wein. Der Kelch wurde zum Symbol der Hussiten. Außerdem setzte Jakobellus durch, daß die Messe in tschechischer Sprache gelesen wurde. 

  25. Konrad von Waldhausen († 1369), aus Österreich gebürtig, radikaler Reformprediger, der sich gegen den Sittenverfall des Klerus und das ausschweifende Leben der Oberschicht in Böhmen wandte und damit großen Anklang im Volk fand. 

  26. Jan Rokycana (um 1390-1471). Anhänger des Jan Hus, Hauptorganisator der hussitischen Kirche, seit 1435 Erzbischof von Prag. Unterzeichnete 1433 die Baseler Kompaktaten, in denen der Papst die hussitische Kirche auf einer gemäßigten Basis anerkannte; 1462 wurden diese aber von Papst Pius II. wieder annulliert. 

  27. Peter Payne (um 1380 - um 1455), aus England gebürtig, Theologe, Diplomat, Anhänger des englischen Reformators Wiclif, schloß sich in Böhmen den Taboriten an, verteidigte die Lehre der Hussiten 1433 auf dem Baseler Konzil. 

  28. Wenzel IV. (1361-1419), König von Böhmen 1378-1419, deutscher König 1378-1400, wurde von den Kurfürsten des Reiches am 20.8.1400 als deutscher König abgesetzt. 

  29. Sigismund (1361-1437), deutscher König 1411-1437; am 28.7.1420 in Prag zum König von Böhmen gekrönt, aber erst 1436 im Friedensvertrag von Iglau anerkannt; seit 1433 Kaiser. 

  30. Albrecht II. (1397-1439), als Albrecht V. Herzog von Österreich seit 1404, deutscher König 1438 bis 1439. 

  31. Ladislays V. Posthumus (1440-1457), König von Böhmen und Ungarn. 

  32. Bartholomäus Anglicus (13. Jahrhundert), englischer Franziskaner. Von seiner Enzyklopädie „De proprietatibus rerum" wurden im 15. Jahrhundert 24 Ausgaben gedruckt. 

  33. Jacobus Philippus de Bergamo (1434-1520), Augustinereremit, Historiker. Von seinem „Supplementum chronicarum" wurden im 15. Jahrhundert sieben Ausgaben gedruckt. 

  34. John Wiclif (um 1320-1384), englischer Reformator, Philosoph und Bibelübersetzer. Er forderte die Wiederherstellung der reinen christlichen Lehre, die Bildung einer von Rom unabhängigen, demokratisch organisierten National-kirche und die Rückkehr zu einem strengen urkirchlichen Armutsideal. Seine Lehre von der „urchristlichen Gemeinschaft" wurde zur Ideologie im Bauernaufstand des Wat Tyler von 1381. Eine kirchliche Notabelnversammlung in London verdammte 1382 seine Lehre. Das Konstanzer Konzil erklärte Wiclif am 4.5.1415 zum Ketzer. 

  35. Peter von Dresden († 1423), Rektor der Dresdener Kreuzschule, Anhänger Wiclifs, Gegner der Lehre vom Fegefeuer, 1411 wegen Verbreitung ketzerischer Lehren aus der Diözese Meißen ausgewiesen. Führte 1414 zusammen mit Jacobellus von Mies in Prag das Abendmahl unter beiderlei Gestalt ein. 1423 in Regensburg auf dem Scheiterhaufen verbrannt. 

  36. Johann von Seelau (Jan Zelivský, † 1422), kam 1416 aus dem Prämonstratenserstift Seelau (Zeliv) nach Prag, wurde hussitischer Prediger, nahm an den Kriegszügen Žižkas teil. 

  37. Gian Francesco Poggio Bracciolini (1380-1459), italienischer Humanist und Schriftsteller, seit 1453 Kanzler von Florenz; er entdeckte Handschriften antiker Werke und schrieb moralische Traktate, Schwänke und eine Geschichte von Florenz. 

  38. Johannes Rucherat, Pfarrer zu Oberwesel bei St. Goar († 1481), verfaßte Bibelkommentare und Traktate, in denen er sich Ansichten von Wiclif und Hus zu eigen machte. Am 21.2.1479 leistete er in Mainz vor Erzbischof Diether von Isenburg öffentlich Widerruf. Er hatte von etwa 1440 bis 1460 an der Universität Erfurt studiert und gelehrt. Durch seine Werke hat er auch Einfluß auf Luther ausgeübt, der bekennt: „Johann Wessalia hat zu Erfurt mit seinen Büchern die hohe Schule regiert, aus welchen ich daselbst auch bin Magister worden." 

  39. Aachen war im ausgehenden Mittelalter der bedeutendste deutsche Wallfahrtsort, der auch von Tschechen in großer Zahl besucht wurde. 1362 hatte Kaiser Karl IV. in Aachen einen dem Tschechischen Nationalheiligen Wenzeslaus geweihten Altar gestiftet, der bis 1734 bestand. 

  40. Des Aenea Silvio Piccolomini „Dialogos contra Bohemos atque Thaboritas de sacra communione corporis Christi" erschien um 1470 bei Ulrich Zell in Köln im Druck. 

  41. Diese Bemerkung bezieht sich auf die Sekte der Adamiten, die es z. Z. Butzbachs nicht mehr gab. 

  42. Decimus Junius Juvenalis (um 60-nach 127), römischer Satirendichter: Sat. 14, 139. 

  43. Mendikanten, die im 13. Jahrhundert entstandenen Bettelmönchsorden der Dominikaner, Franziskaner, Augustiner, Karmeliter, Serviten u. a. Die Päpste verliehen ihnen wichtige Privilegien: Sie waren von weltlicher und bischöflicher Gerichtsbarkeit befreit, durften überall predigen, Beichte hören, die Messe lesen und Ablässe verleihen, wodurch sie oft in Gegensatz zur Weltgeistlichkeit gerieten. 

  44. Erhard von Rednitz aus dem Zisterzienserorden, Weihbischof von Mainz seit 1493 bis zu seinem Tode am 30.9.1502.  

  45. Im 15. Jahrhundert wurden zwei Bibelausgaben in tschechischer Sprache gedruckt, eine 1488 von Jan Kamp in Prag, die andere 1489 in Kuttenberg (Kutná Hora) von Martin von Tischnowitz. 

  46. König Maximilian I. (1459-1519) befand sich vom 5.2. bis 16.5.1488 in der Gefangenschaft der Bürger von Brügge, die zehn seiner Räte folterten und enthaupten ließen. In einem 15jährigen Krieg versuchten die Niederländer erfolglos, sich der habsburgischen Herrschaft zu entledigen.